Gabriele Kuby rettet die heilige Ehe

Wer kennt Gabriele Kuby? Linke eher nicht. Feministinnen eher nicht. Aber der Papst im Ruhestand, Ratzinger, der kennt sie. Gabriele Kuby ist eine unverdrossene Kämpferin gegen die wachsende Gefahr der „Geschlechtergleichstellung“, gegen Homoehen und – na klar – gegen ein liberales Abtreibungsrecht. Gabriele Kuby publiziert. Verschiedenes. Ihr Weg zu Maria (der Jungfrau) zum Beispiel. Und immer wieder Texte gegen die Gleichstellung der Geschlechter. Sie kämpft natürlich auch für etwas: die Familie. Der Kampf für die Familie – die klassische, Vater, Mutter, zwei Kinder, der Vater erwerbstätig, die Mutter höchsten teilweise, auf keinen Fall für die Homofamilie – ist sozusagen ihr Hauptantrieb und ihr Hauptargument im Kampf gegen die Geschlechtergleichstellung.

Nach ihrem Büchlein „Die Gender Revolution“ präsentiert sie uns nun abermals und wortreicher Gender Mainstreaming als globale Verschwörungstheorie. Ihr Verlag, der rechtskatholische Fe-Verlag, spendiert, so sieht es aus, einige Euros, um ihr neues Werk „Die globale sexuelle Revolution“ zu bewerben. „Wussten Sie, dass Gender-Mainstreaming seit 1999 ‚Leitprinzip und Querschnittsaufgabe‘ der deutschen Bundesregierung ist?“, fragt die Werbebroschüre und man spürt, dass erwartet wird, dem Leser, der Leserin liefen die Schauer des Grauens über den Rücken. „…dass Gender-Mainstreaming nicht nur die Herstellung von ’substantieller Gleichheit‘ von Männern und Frauen anstrebt (igitt), sondern die Auflösung der Heterosexualität als Norm?“ Kuby trägt dick auf. Aus dem Recht von Kindern auf eigene Sexualität phantasiert sie die Proklamation von Kindesmissbrauch. Und neben EU und WHO sind auch die Yogis mit ihren „Yogyakarta-Prinzipien“ unterwegs, ebenso wie Bündnis 90/Die Grünen, um unsere Gesellschaft kaputt zu machen, unsere Kinder umzuprogrammieren, unsere Werte zu zerstören. So jedenfalls das Werbematerial, das vor einiger Zeit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beilag. Es offenbart dankenswerterweise genug, dass man es sich nicht antun muss, das ganze Buch zu lesen. Auch credo, das sich „ein Magazin zum Jahr des Glaubens“ nennt, und ebenfalls der FAZ beilag, gibt Kuby eine ganze Seite unter der Überschrift „Mann und Frau? Vergiss es!“. credo erscheint in Kooperation mit dem Osservatore Romano, der in Rom erscheint und das offizielle Verlautbarungsorgan des Vatikan ist. Einflussreiche und solvente Unterstützer also. Zu weiteren UnterstützerInnen im Einzelnen weiter unten ausführlicher.

Das Buch scheint recht schlicht gestrickt. Alle Übel des heutigen Kapitalismus, jedenfalls jene, die Frau Kuby in der Lage ist zu identifizieren, werden aufgezählt und der „Gender Revolution“ in die Schuhe geschoben. Nach Kuby drohen freie Homosexualität und Geschlechtsumwandlung für alle. Sie vertraut auf tief verwurzelte und reanimierbare Vorurteile, auf latenten Hass gegen Schwule und Lesben. Offenbar fühlt sie sich bestärkt durch die Massendemonstrationen in Frankreich gegen die Homosexuellenehe. „Die Zukunft gehört uns“, schreibt sie dazu in der Tagespost am 13.1.2013. Aber auch bei uns ist der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kriechen kann. Wie erfolgreich und schnell 100 000 Unterschriften unter eine homophobe Petition werden können, zeigt Baden-Württemberg. (Der übergroße Anteil der Unterzeichner bleibt allerdings – das ist interessant – anonym). Die Petition soll eine Veränderung des Unterrichtsplans verhindern. Kinder und Jugendliche ssollen sich nicht mit der Vielfalt sexueller Neigungen auseinandersetzen und Toleranz und Respekt lernen. Nein, Homosexualität und abweichende sexuelle Identitäten sollen wieder ins Reich des Heimlichen, der Krankheit, der Aberration gedrängt werden. Zur Behandlung freigegeben.

Sexuelle Freiheit ist für Kuby und ihre Freunde „der neue Totaliarismus des 21. Jahrhunderts“ und Schuld daran, dass Menschen depressiv werden, Angstzustände haben und Suizid begehen. Daran dass es immer weniger Kinder gibt, natürlich auch. „Was deiner Freiheit im Wege steht, wird dekonstruiert: die Geschlechtsidentität als Mann und Frau, die Moral, die Familie, die Kirche, die Heiligkeit des Lebens,“ so Kuby. Damit ist die Katze aus dem Sack.

Dagegen setzt Kuby die christliche Moral. Aber sie schwärmt uns nicht von einer neuen Moral in einer fernen Zukunft vor. Sie redet über die Vergangenheit, sie glorifiziert Zustände, die wir Älteren noch allzu gut kennen, unter denen wir gelitten, die uns nicht selten gequält und die wir darum kritisiert und bekämpft haben. Es soll zurück gehen zur festgezurrten Heterosexualität, zu klaren Zuschreibungen, was Mann und Frau seien oder zu sein haben, zurück zur katholischen Moral und zur christlichen Familie.

Alles würde gut, wenn alle Menschen sich der heterosexuellen Geschlechtsidentität unterwürfen. Zwei Geschlechter, Mann und Frau, die sich finden für ein ganzes Leben, nur Sex haben zum Zwecke der Kinderzeugung (letzteres findet zumindest ihr Bewunderer, der Expapst) und also die christliche Familie bilden.
Wer anders empfindet, gleichgeschlechtlich liebt, gar meint im falschen Körper zu leben, als Mann im Frauenkörper oder umgekehrt, dem wird mit der moralischen Keule seine Verwirrung ausgetrieben, bestenfalls eine Therapie angeboten. Die Heiligkeit des Lebens besteht für Kuby und ihre Gesinnungsgenossinnen und Mittäter darin, dass man den Lebenden – und zwar allen – ein katholisches Moralkorsett aufzwingt.

Doch wie kommen wir eigentlich dazu, der katholischen Kirche das Urteil über die Familie zu überlassen? Die doch ihren Priestern genau diese verbietet. Was wissen alle diese hauptamtlichen Katholiken über Familie, über Kinder? Aber es ist ja noch viel schlimmer. Hat nicht die katholische Kirche im faschistischen Spanien und in Militärdiktaturen Lateinamerikas tausende Familien zerstört, Kinder von ihren Müttern getrennt, wenn diese links oder kommunistisch waren? Geschwiegen, wenn Eltern ermordet wurden und sich daran beteiligt, die Waisen in reiche Familien zu vermitteln gegen gutes Geld? Katholische Organisationen, Nonnenorden, Krankenhäuser und Heime und möglicherweise auch einzelne Kleriker haben daran sehr gut daran verdient. In Spanien wird der katholischen Einrichtung für arme und ledige Mütter, der „Kongregation der Missionarinnen der Nächstenliebe“ (sic!), vorgeworfen, noch bis in die 80er Jahre, Kinder entzogen und auf dem Adoptionsmarkt verkauft zu haben. Aber die Adoption durch Homosexuelle ist des Teufels! Wo blieb da die Mutterideologie? Weiß Frau Kuby das alles nicht, oder hofft sie nur, dass wir es nicht wissen? Und was ist mit den weit verbreiteten sexuellen Gewalttaten gegen Kinder, die von Priestern und anderen Kirchenmitarbeitern ausgeübt wurden? Das waren doch im Zweifelsfall dieselben, die die Heiligkeit der Familie und der Ehe im Munde führten.

Die Zeiten, dass Kirche so viel Einfluss auf das Denken der Menschen hatte, dass beim Anrufen der „christlichen Moral“ das Denken aussetzt, sind Gottseidank vorbei. Aber Gabriele Kuby und ihre Freundinnen und Freunde sticken weiter am Gnadenbild der heiligen Familie. Den Schwerpunkt ihrer Aktionen haben sie aber verlagert, von der Kampagne „Kinder brauchen ihre Mutter“ und gegen öffentliche Kinderbetreuung hin zur Kampagne gegen die Homoehe und die Homosexualität. Dabei ist der Freundeskreis illuster und beherbergt alte Bekannte. Gabriele Kuby selber ist die Tochter aus erster Ehe des streitbaren linken, radikaldemokratischen Publizisten Erich Kuby. Ihre Positionen wurden ihr also sprichwörtlich nicht in die Wiege gelegt. Sie machte einige Umwege über fundamentalistische Evangelikale in den USA, deren Vorstellungen sie anhing bis zur rechtesten Ecke der katholischen Kirche, in der sie sich nach ihrer Scheidung einrichtete. Ihr Freundes- und Unterstützerkreis spricht Bände. Auf dem Werbeflyer ihres Buches sind einige Namen des homophoben Netzwerkes benannt, in dem sie sich tummelt.

Allen voran der damalige Papst Benedikt, einer der wenigen Päpste, die zu Ex-Päpsten wurden. Benedikt war als Kardinal Ratzinger Präfekt der „Glaubenskongregation“, deren älterer Name „Inquisition“ war und deren erklärte Aufgabe immer noch der „Schutz der Kirche vor Häresien“ (Ketzereien) ist. Als sie ihm persönlich ihr Buch überreichte, sagte Benedikt angeblich zu ihr: „Gott sei Dank, dass sie reden und schreiben!“ Und: „Frau Kuby ist eine tapfere Kämpferin gegen die Ideologien, die letztlich auf die Zerstörung des Menschen hinauslaufen.“

Dem Papst folgt auf dem Werbezettel Prof. Dr. Edith Düsing. Wikipedia nennt Edith Düsing „eine deutsche Philosophin mit Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen“. Spätestens seit 2003 hat sie keine Professur mehr inne und arbeitet als Dozentin. Sie selbst bezeichnet sich weiterhin als Professorin für Philosophie und Geistesgeschichte und sagt: „Ich habe das Buch in atemloser Spannung und seelischer Erschütterung gelesen“. Sie unterzeichnete die „Marburger Erklärung für Freiheit und Selbstbestimmung – gegen totalitäre Bestrebungen der Lesben- und Schwulenverbände“, zu deren Erstunterzeichnerinnen die Kuby gehört. Dort lesen wir, dass wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass „ praktizierte Homosexualität ein erhebliches gesundheitliches und psychisches Risiko“ berge. „Dazu zählen überdurchschnittliche Anfälligkeit für AIDS, Geschlechtskrankheiten, Depression, Ängste, Substanzenmissbrauch (Alkohol, Medikamente und Drogen) und Suizidgefährdung.“ Deshalb sei es gerechtfertigt, sich „kritisch mit Fragen homosexueller Lebensweisen zu befassen“ oder therapeutische Hilfe zu suchen und anzubieten und es wird gefaselt von medizinischer Behandelbarkeit von Homosexualität. Den Lesben- und Schwulenverbänden wird mediales Mobbing und Verleumdung vorgeworfen, wenn sie für ihre Anerkennung und Gleichberechtigung eintreten und nicht im heimlichen Kämmerlein bleiben und sich grämen. Dass weltweit das größte Risiko, das Schwule und Lesben tragen, das der staatlichen und religiösen Verfolgung ist, ist natürlich keines Wortes wert.

Die nächste zitierte Unterstützerin ist Katrin Krips-Schmidt. Sie arbeitet bei der Tagespost,die nach eignen Aussagen, die einzige überregionale katholische Tageszeitung im deutschsprachigen Raum ist. Die Tagespost gilt innerkirchlich als „konservativ ausgerichtet“. Dort finden wir beispielsweise ein Interview, das sie mit einem Vertreter der Petrusbruderschaft führte. Diese Priesterbruderschaft wurde von Mitgliedern der Piusbruderschaft gegründet. Diese wiederumg ist ein Kreation von Bischof Lefebvre. Lefebvre ist am besten durch seinen Brief an Papst Johannes Paul II. charakterisiert, worin er schreibt, die Feinde der Kirche seien Juden, Kommunisten und Freimaurer. In Predigten bezeichnete er die für zehntausende Morde verantwortliche Militärjunta von Argentinien und die Diktatur in Chile unter Augusto Pinochet als unter einem religiösen Gesichtspunkt vorbildliche Regierungen und fand lobende Worte für die europäischen Faschisten Salazar, Pétain und Franco.

Der nächste Promotor des Buches ist Prof. Harald Seubert, Professor für Philosophie und Religionswissenschaft, auch er Unterzeichner der Marburger Erklärung. Er ist evangelisch. Seubert publiziert u.a. in der der NPD nahestehenden Zeitschrift MUT, der rechtsradikalen Jungen Freiheit und der rechtskatholischen Tagespost (s.o.). Ebenso publiziert er in Sezession, der Zeitschrift des sog. Instituts für Sozialpolitik, einer Denkfabrik der neuen Rechten. Muss noch viel mehr gesagt werden?

Danach kommt der dem Opus Dei nahestehende und im Vatikanstaat einflussreiche ehemalige Kardinal Giovanni Lajolo. Auf jeden Fall wird Lajolo auf der Website des Opus Dei häufig zitiert und er wiederum äußert sich lobend zum Gründer des Opus Dei.. Ansonsten ist man bei der geheimnisumwitterten katholischen Organisation lieber diskret und versucht still und heimlich den Nimbus einer reaktionären Geheimorganisation loszuwerden.

Ihm folgt – in diesem rechtsklerikalen Umfeld ein Paradiesvogel – Andre Sikojev, Bevollmächtigter der Russisch-Orthodoxen Kirche am Sitz der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages, othodoxer Priester und Filmemacher. Die Werbung für Kubys Buch scheint sein Coming out als religiöser Fundamentalist, Schwulenhasser und reaktionärer Familienideologe zu sein. Vorher ist er in dieser Weise wenig aufgefallen. Danach finden wir ihn wieder auf Jürgen Elsässers Compact-Konferenz zur Familie. Elsässer ist mittlerweile ganz rechts angekommen, polemisiert gegen Multikulti und den „Völkerbrei“. Auf seiner Konferenz trafen sich Thilo Sarrazin, militante Vertreterinnen der russischen Regierungspolitik gegen Homosexualität, Béatrice Bourges, radikale Schwulen-Ehe-Gegnerin, maliziöse Sprecherin des furchtbaren „Französischen Frühlings“ und unser Andre Sikojev, wetternd gegen Gender Mainstreaming. Wo er sich da wohl munitioniert hat?

Weiter geht’s mit Dr. Dariusz Oko, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Päpstlichen Universität Paul II in Krakau, einem bekennenden katholischen Fundamentalisten. Er findet: „Das Problem der Homoideologie und der Homolobby existiert nicht nur außerhalb der Kirche, ein analoges Problem existiert auch innerhalb, dort, wo die Homoideologie die Gestalt einer Homohäresie annimmt.“ Er unterstellt gerne eine Weltverschwörung der Homosexuellen. Und er lobt das Werk Kubys: „Die Autorin zeigt in ihrem Buch, dass der gewaltige Angriff, mit dem wir es heute zu tun haben, kein Zufall und keine Mode ist, sondern Teil eines globalen Plans, einer Weltstrategie, welche fundamentale Veränderungen des Menschen und der Gesellschaft durch fundamentale Veränderungen des Verstehens und Erlebens der menschlichen Sexualität anstrebt und bewirkt. Sie entlarvt die Wahrheit über die Gender-Ideologie, ganz ähnlich wie Kolakowski und Solschenizyn die Wahrheit über den Kommunismus entlarvten.“ Ein kämpferischer Unterstützer!

Und zum Schluss: Das Geleitwort schrieb Prof. Robert Spaemann, konservativer Philosoph, der auch schon einen Solidaritätsaufruf für die Junge Freiheit unterschrieb, als diese nicht auf der Leipziger Buchmesse hatte zugelassen werden sollen. Er schreibt: Das Wort „Gender Mainstreaming“ ist den meisten Bürgern unseres Landes nicht bekannt. Es ist ihnen daher auch nicht bewusst, dass sie seit Jahren von Seiten der Regierungen, der europäischen Autoritäten und einem Teil der Medien einem Umerziehungsprogramm unterworfen sind, das bei den Insidern diesen Namen trägt.“

Seit Januar weiß Kuby nun auch die Polnische Bischofskonferenz hinter sich, die sich mit einem Hirtenbrief klar gegen die Gender-Ideologie ausspricht und ihre Gläubigen und die Vertreter der kirchlichen Bewegungen und Verbände dazu aufruft, mutig gegen diese Ideologie zu handeln.
Es sieht so aus, dass wir das alles nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten, denn die Verbrüderung der Rechtsklerikalen mit den reaktionären Regierungen in den osteuropäischen Staaten, mit den Neuen Rechten und den neokonservativen Biedermännern (Claudia Pinl, Das Biedermeierkomplott) zeichnet sich ab, nicht zuletzt beim Compact-Kongress in Leipzig.

Veröffentlicht unter Feminismus | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , , , | Kommentar hinterlassen

Nocheinmal Menschen für Menschen ….

Die Antwort von Menschen für Menschen:
Sehr geehrte Frau Buchinger, sehr geehrter Herr Hohnerlein,
vielen Dank für Ihre Email. Es tut uns leid, wenn Sie unser Bericht über den Besuch von Ministerin Aigner verärgert hat. Sie können versichert sein, dass es uns fern liegt, den parteipolitischen Wahlkampf in der Bundesrepublik zu unterstützen.
Da Menschen für Menschen sich für die ländliche Bevölkerung und damit für die Kleinbauern in Äthiopien einsetzt, war es uns wichtig der Ministerin und ihrer Delegation die Lebensrealität von Millionen von Menschen im Land zu zeigen. Rund 85 Prozent der Bevölkerung lebt als Selbstversorger vom eigenen Anbau. Unsere Organisation arbeitet gemeinsam mit den Bauern daran, die natürlichen Ressourcen zu regenerieren und die Produktivität der Kleinbauern zu steigern.

Und unsere Entgegnung:
Sehr geehrte Frau Dreyer, herzlichen Dank für die schnelle Antwort, aber nichts liegt uns ferner, als Sie zu verdächtigen, aktiv in den bundesdeutschen Wahlkampf einzugreifen. Trotzdem mutet eine BRD-Landwirtschaftsministerin, die derselben Partei wie der Bauernpräsident angehört und die beide zusammen entscheidende Personen im europäischen Subventionskartell sind, gelinde sagt, befremdlich an, sobald es um die Würdigung eines Projektes für kleinbäuerliche Existenzen in Äthiopien geht. Natürlich muß der hohe Prozentsatz selbstversorgender Bauern in Äthiopien mindestens gehalten werden und es ist nichts dagegen zu sagen, wenn die agrarindustrielle Lobby sich das gut ansieht. Vielleicht ist der bei dieser Gelegenheit ja die Einsicht zu vermitteln, dass Landverkäufe oder – verpachtungen kein probates Mittel gegen drohende Hungersnöte oder strukturellen Hunger sind (wie es die Weltbank glauben machen will). Aber glauben Sie daran im Ernst?
Es gibt viele Beispiele auf der Erde, wo kleinbäuerliche Existenzen zerstört werden um Platz für die „effizienten“ Großplantagen zu machen. Ob das alles vorher mühsam und mit viel Liebe und Engagement gefördert und aufgebaut wurde, interessiert dabei kaum noch jemanden. Nach Jean Ziegler, ich zitiere, „macht sich selbst Äthiopien an die Entfremdung seines Bodens. Fast 1,6 Millionen Hektar Land hat es Investoren überlassen, die dort Zuckerrohr und Ölpalmen anbauen wollen. Bis Juli 2009 haben 8420 einheimische und ausländische Investoren die erforderlichen Genehmigungen erhalten. Der mächtigste Agrarinvestor ist der saudische Multimilliardär Mohamed Al-Amoudi. Seine saudische Star Agricultural Development Company besitzt viele tausend Hektar in einigen der seltenen wirklich fruchtbaren Regionen Äthiopiens – in Sidamo und Gambella. Er schickt sich an, dort noch weitere 500000 Hektar zu erwerben, um Zuckerrohr zu pflanzen, das für die Gewinnung von Bioethanol bestimmt ist. Auf den riesigen Ländereien des saudischen Scheichs lebten zahlreiche Kleinbauernfamilien aus dem Volk der Nuer, einer uralten, großartigen, nilotischen Kultur. Die äthiopische Armee vertrieb die Nuer mit Waffengewalt. Wohin? In die mörderischen Kanisterstädte von Addis Abeba und Harar-Gué“. Soweit Zieglers Bericht.
Und Sie sind sicher, die richtigen Gäste bei sich empfangen zu haben? Unseres Erachtens wäre das beste für Sie zu erwartende Ergebnis, dass Frau Aigner und ihr Kollege von der hessischen CDU bei Ihnen ein wenig folkloristische heile Welt gefunden haben, die hoffentlich die Weltbank und das Agrobusiness noch ein wenig unangetastet lassen. Und das halten wir, mit Verlaub für naiv. Sie ärgern uns nicht. Es läßt vielmehr verzweifeln, wenn mit so viel Mühe geschaffene Projekte von den Machern gegenüber den Heuschrecken nicht wenigstens in Form sehr kritischer Fragen verteidigt werden und man denen zu erkennen gibt: wir wissen, wer ihr seid und wo es hingehen soll. Ihr werdet uns im Interesse der Menschen hier vor Ort zum Gegner haben, wenn ihr uns nicht so unterstützt, wie diese Menschen es verdient haben: durch Bewässerungsanlagen, Traktoren, Zugtiere, Dünger usw. Eine solche Berichterstattung würde sich in Ihrem Magazin auch wesentlich besser machen und uns zur Freude gereichen.

Mit besten Grüßen aus Berlin

Thomas Hohnerlein und Christel Buchinger

Veröffentlicht unter Mein Herz schlägt links | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , | Kommentar hinterlassen

Leserbrief an das Magazin von Menschen für Menschen

von Christel Buchinger und Thomas Hohnerlein

Sehr geehrte Damen und Herren,
wie immer haben wir mit Interesse Ihr neues Magazin gelesen. Wir können auch nachvollziehen, dass es für eine Organisation wie die Ihrige nicht von geringer Bedeutung ist, immer wieder „Prominenz“ in Ihren Projekten zu empfangen. Sehr gestört hat uns im neuen Magazin der Artikel, das Bild und den Text zum Bild über den Besuch von Frau Aigner und Hernn Heiderich.

Es ist Wahlkampf in der Bundesrepublik Deutschland und jede/r hängt sich natürlich aus dem Fenster, wo er/sie kann. Das ist nicht neu und doch sollte man erkennen, dass diese Art des Selfmarketings angesichts der Politik, die diese Prominenten nicht nur im eigenen Land, sondern vor allem auch gegenüber dem globalen Süden zu verantworten haben, zunehmend abstoßender wird. Das jüngste Buch von Jean Ziegler (Wir lassen sie verhungern) vermittelt mehr als nur einen Eindruck, wo die Verantwortlichen für Hunger und Unterentwicklung sitzen und wir können beim besten Willen nicht erkennen, wo ausgerechnet Frau Aigner und Herr Heiderich oder deren Parteien sich diesen Verantwortlichen entschlossen in den Weg stellen (dies gilt im übrigen auch für den Rest der „ganz großen Koalition“, die SPD, die Grünen und die FDP).

Eine entschiedene Ablehnung der Agrarsubventionen in den reichen Ländern können wir nicht erkennen, ebensowenig eine entschlossene Konterkarierung einer Weltbankpolitik, die offensiv die Produktion von Cashcrops im globalen Süden sowie die gleichzeitige finanzielle Förderung des Landgrabbings betreibt. Im Gegenteil gehören genau diese politischen Kräfte zu denen, die den Afrikanerinnen, den Asiatinnen und Lateinamerikanerinnen die Befähigung abspricht, einen landwirtschaftlichen Ertrag zu erzielen, der sie ernährt, der im Namen von „grünen Revolutionen“ (die in erster Linie dem agrarindustriellen Komplex Nutzen bringen) der Zerstörung der Subsistenz das Wort redet, ganz zu schweigen von den mörderischen Folgen der Strukturanpassungen und der vom Washington Konsensus verordneten Austeritätspolitik, angesichts derer die Kritik an den BewohnerInnen des Trikont wie blanker Zynismus, wenn nicht wie vorsätzlicher Totschlag wirken müssen.

Wir wissen alle, dass Geld da ist, wir wissen alle, dass es in den Rachen der Banken geschaufelt wird, wir wissen alle, wie lächerlich wenig es angesichts dieser Summen kosten würde, die Bäuerinnen und Bauern des Südens in die Lage zu versetzen, eine Landwirtschaft zu betreiben, die sie ernährt und in Würde leben läßt. Frau Aigner und Herr Heiderich sind Vertreter/in eines menschenverachtenden Systems, das Ersteres befeuert und Letzteres verhindert und das ist das Einzige, was uns an ihnen herausragend (eben prominent) erscheint.

Dass die „Bäuerin“ in Ihrem Bildtext namenlos bleibt und das in Ihrem Magazin, macht uns sprachlos. Sie ist die prominente Person auf diesem Bild und sie ist es, die wir auch mit Namen kennen möchten, auch wenn wir sie nie persönlich kennenlernen werden, ihr gehört unsere Hochachtung und ihr gegenüber möchten wir auf diesem Weg verdeutlichen, welche Scham uns befällt, uns sozusagen bei ihr zu Hause von Frau Aigner und Herrn Heiderich repräsentiert zu sehen. Das, was dieser Frau im besten Fall widerfährt, ist auf das Spendenengagement einiger Menschen zurückzuführen und selbst wenn die BRD etwas dazu gibt, ist es nicht Frau Aigner geschuldet, nicht Herrn Heiderich geschuldet – es handelt sich schlicht um die Steuerzahler, die das ermöglichen und das leider in einem viel zu geringen Umfang (wie der lächerliche Anteil der sogenannten Entwicklungshilfe am Gesamthaushalt zeigt).

Wir hoffen bei solchen Events zum Selfmarketing und kleinen Details, wie der namenlosen Bäuerin, auf Besserung.

Mit den besten Grüßen aus Berlin
Thomas Hohnerlein & Christel Buchinger

Veröffentlicht unter Mein Herz schlägt links | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , | Kommentar hinterlassen

Die einzige Demokratie im Nahen Osten

„Wem gehört das Niemandsland?“ ist der Artikel von Wolfgang Sréter überschrieben. Demokratie im Innern und Rechtlosigkeit der Kolonisierten. Verdrängung, Vertreibung, Enteignung der Palästinenser im eigenen Land. Lesenswert im Freitag Nr. 21 (leider nicht online verfügbar).

Veröffentlicht unter Gerechtigkeit im Nahen Osten, Kriminalgeschichte des Kapitalismus | Verschlagwortet mit , , | Kommentar hinterlassen

Der Tiergarten in Berlin wird eingezäunt

Angeblich aus Terrorangst soll der Tiergarten in Berlin bis zur WM 2014 eingezäunt werden. Die Zugänge könne man dann gut kontrollieren. Prima! Alles Schöne wird eingezäunt. Bestimmt gibt es noch weitere Plätze, die man wegen Terrorgefahr einzäunen könnte. Stockholm und Paris warnen, die Vorstädte könnten auch in Deutschland unsicher werden. Zäune halten das Gesindel draußen. Die immer unzufriedenen Asylanten, die Faulenzer mit Hartz IV, die Tage- und Sonstwas-Diebe. Aber wäre es nicht viel effizienter, die Armenviertel einzuzäunen? Hohe Drahtverhaue, doppelte, wenn’s geht. Wachmannschaften patrouillieren lassen. Mit Hunden. Deutschen Schäferhunden. Nur wenige Checkpoints. Wer zur Arbeit will oder von der Arbeit kommt, darf rein oder raus. Die andern bleiben drin.
Wenn die Drohnen funktionieren würden, könnte man Mannschaften einsparen. Drohnen sind auch deshalb viel besser, weil, wenn sie jemanden abknallen – versehentlich – muss niemand vor Gericht.
Gated Communities mal anders: nicht die Reichenviertel einzäunen, sondern die Armenviertel. Schaut nach Israel, da geht das doch auch. Die Kosten können in den Armenghettos driekt eingespart werden. Schulen und Kindergärten sind überflüssig für das Gesocks. Bibliotheken dann natürlich auch. Nur Lidl, Aldi und Kik. Achja und MediaMarkt für die ganz Blöden.

Veröffentlicht unter Arbeitsethos?, Kriminalgeschichte des Kapitalismus, Wann kommt der Aufstand? | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , | Kommentar hinterlassen

Bürgermeister von Osaka: Sexsklaverei notwendig

Sie wurden Trostfrauen genannt. Das japanische Militär versklavte im Zweiten Weltkrieg 200.000 bis 300.000 Frauen aus Korea und China, um sie seinen Soldaten als Prostituierte zur Verfügung zu stellen. Trost für die Soldaten. Für die betroffenen Frauen gibt es bis heute keinen. Der Bürgermeister von Osaka, Hashimoto, ist ein besonders einfühlsames Kerlchen. Die Versklavung der Frauen sei notwendig gewesen, fand er kürzlich. Zitat: Wenn man Soldaten, die unter Bedingungen, bei denen Kugeln herumfliegen, wie Regen und Wind, ihr Leben riskierten, ausruhen lassen wollte, war ein System der Trostfrauen notwendig. Das ist jedem klar.“ Mit anderen Worten: wenn die Umstände es erfordern, wird vergewaltigt. Typen wie Hashimoto vergreifen sich nicht nur im Ton, sondern, wenn es die Bedingungen zulassen, auch an Frauen. Man sollte ihnen jede Schlechtigkeit zutrauen.
Nur 30 Prozent der Frauen überlebten das Martyrium. Japan weigert sich bislang stur, Entschädigungen zu zahlen.
Ausführlicher Artikel in der Jungen Welt

Veröffentlicht unter Feminismus, Kriminalgeschichte des Kapitalismus | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Kommentar hinterlassen

Wann beginnt der Aufstand? Estside Gallery, oder wem gehört die Stadt?

Nun wird ein Teil der Eastside Gallery (ein Teil der Berliner Mauer, die noch stand und von Künstlern gestaltet wurde) abgerissen. Die Proteste waren nutzlos, die Polizei hat den Abriss abgesichert.
Das war’s dann? Wieso kein Aufruf „macht hundert, macht tausen Eastside Galleries!“ Und zum Beispiel das alte Haus am Mandrella-Platz in Köpenick: verlassen, entmietet, verfallend, verrammelt, verdreckt und verschmiert. Drei Eimer Farbe zur Grundierung und 10 Künstlerinnen und Künstler, begleitet von hundert Aktivistinnen und Aktivisten und los geht’s! Sprayen, singen, tanzen, spielen, welch ein Fest!

Veröffentlicht unter Aktionen die nie stattfanden, Mein Herz schlägt links | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Kommentar hinterlassen

Die Vernunft gebiert Ungeheuer

zum Beispiel der irrwitzige Glaube bzw. die irrwitzige Ideologie, erst die Teilnahme an Erwerbsarbeit mache den Menschen zum vollwertigen Mitglied der Gesellschaft“ (gilt auch noch heute noch in seiner absoluten Form nur für Männer; Frauen werden nach dieser Vorstellung eh nie vollwertig)

So gesehen im S-Bahnhof Ostkreuz, Berlin: ein älterer, nein, ein ziemlich alter Mann, dem Aussehen nach um die 65, kehrt die Treppen und pickt mit einem Gerät Papier von den Stufen. Entweder er ist alt und arm, bekommt wenig Rente und muss sich was dazu verdienen. Oder er ist Hartz IV’ler und vom Jobcenter zum Ein-Euro-Job bei der Bahn verdonnert?
Ich frage mich, wieso dieser Mann seine restliche Lebenskraft und seine Lebenszeit nicht in seinem Garten verbringt? Seine Beete pflegt, einen Reisighaufen für Igel aufschichtet, Bohnen pflanzt und Äpfel erntet. Das wär für ihn selber besser, für seine Frau und seine Kinder und Enkel und – weil Kleingärten für die Stadtökologie sehr wichtig sind – auch für die Gesellschaft. Also warum, zum Teufel, muss er die S-Bahnsteige fegen?

Veröffentlicht unter Arbeitsethos?, Kriminalgeschichte des Kapitalismus, Mein Herz schlägt links | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , | Kommentar hinterlassen

Auf dem rechten Auge blind?

Deutsche Geheimdienste sind für den Kampf gegen Linke und Gewerkschaften gegründet worden und sie haben ihre Ziele nie geändert.

1992 flog Gladio, die Nato-Geheimorganisation, in Italien auf. In der Folge wurden ähnliche Strukturen in ganz Westeuropa festgestellt und es kam zu einigen, wenn auch unzureichenden Skandalen. 2008 veröffentlichte Daniele Ganser seine umfangreiche Untersuchung zu den antikommunistischen Nato-Geheimarmeen. Land für Land zeigt er die Verstrickung von Militär, Geheimdiensten und rechtsradikalen Untergrundgruppen. Sie sind mehr oder weniger auf den Kampf gegen Linke und linke Entwicklungen in Westeuropa ausgerichtet. In Deutschland reichte es 1992 dem damaligen bundesdeutschen Parlament aus, dass die Bundesregierung auf die Frage der Fraktion DIE GRÜNEN nach Gladio in Deutschland völlig cool erklärte, Gladio würde aufgelöst oder wäre aufgelöst. Das waren im Taumel über den Sieg über das Reich des Bösen im Osten offenbar alle geneigt zu glauben. Aufgelöst?

Pleiten, Pech und Pannen?

Wer Gansers Buch gelesen hat, wird die Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen, die uns von der Presse über den NSU-Skandal vermittelt wird, keine Sekunde lang geglaubt haben. Das Unglaubliche, nicht Nachvollziehbare wird völlig verständlich und klar, wenn man davon ausgeht, dass Gladio 1992 nicht aufglöst wurde und dass die Allianz zwischen geheimen Militärgruppen, Verfassungsschutzämtern, militärischem Abschirmdienst und den Spitzen von BKA und LKAs einfach weitergeführt wurde. Dann erklärt sich, warum der NSU so gut bewaffnet war, warum er von den Verfassungsschutzämter mehrerer Bundesländer geschützt wurde, warum die Polizeiermittlungen regelmäßig in Sackgassen geführt wurden und Ermittler ausgetrickst. Dann versteht man, wieso der Verfassungsschutz Millionen ausgibt, die Nazigruppen und –parteien zugute kommen.

Wo bleibt der Aufschrei?

Im Parlament und den Medien wird darüber diskutiert, ob man oder dass man die NPD verbieten müsse, damit keine Steuergelder in eine Nazipartei fließen. Lächerlich! Faktisch haben die Ämter gefährlichere Strukturen als die NPD mit Steuergeldern finanziert. Das wollen die Schnüffler nicht gewusst haben. Wer soll das glauben? Die Erwerbstätigen in Deutschland, auch die mit griechischen und türkischen Wurzeln, die Ladenbesitzer, auch die türkischen und griechischen haben mit ihrer Arbeit, mit ihren Steuern Nazis finanziert. Wo bleibt der Aufschrei?

Das Bild wird klarer

Es ist nicht einfach, diese Gedanken zu Ende zu denken. Dem Staat nicht zu trauen, ist daws Eine. Ihm alles Schlechte, Verbrecherische zuzutrauen, erfordert Mut. Man wird nicht mehr gut schlafen können. Es gibt Gedanken, die man nicht zu Ende denken kann, ohne sein Leben zu verändern. Aber was soll man tun? Zuerst mal sagen, was ist. Das ist nach Rosa Luxemburg die revolutionärste Tat. Zumindest in bestimmten Lagen.

Wolf Wetzel hat ein Buch veröffentlicht, das dem Staat das Vertrauen aufkündigt: „Der NSU-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?“. Es ist im Unrast Verlag erschienen und kostet 12 Euro. Daniele Ganser bleibt aktuell und das Auftauchen eines Zeugen im Prozess gegen zwei Polizeibeamte in Luxemburg, die beschuldigt werden, im Auftrag der geheimen luxemburgischen Gladio-Truppe in den 80er Jahren Bombenanschläge auf Strommasten verübt zu haben, ist besonders aufschlussreich. Er bezeugt, dass sein Vater eine zentrale Figur im europäischen Gladio-Netz war und an Anschlägen in ganz Europa beteiligt. Ein Interview findet man in der Jungen Welt vom 13./14. April 13. Und wer es realistisch und belletristisch will, kann den Thriller „Terror“ von Martin Maurer lesen, erschienen im Dumont Verlag. Aber Vorsicht: die Lektüre könnte aufgrund von Schlafstörungen das Arbeitvermögen einschränken!

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Entwurf des Wahlprogramms der LINKEN

Feminismus wieder unter „Ferner Liefen“?

Leider ist es so, dass das, was ich 2011 geschlechterkritisch zum Programmentwurf der Linken sagte, für den Entwurf des Wahlprogramms auch noch gilt.

Wenn also die LINKE ihre Haltungen recycelt, tue ich das auch mit meinem Text. Hier ist er (veröffentlicht in Wolfgang Gehrcke (Hg), Alle Verhältnisse umzuwerfen … Eine Streitschrift zum Programm der LINKEN), PapyRossa Verlag 2011
—–
Die Umwälzung der Geschlechterverhältnisse und das Programm der LINKEN

Fehlt da nicht was?

– Naja, es fehlt mal wieder ein Geschlecht!
Ich höre schon den Widerspruch: stimmt doch gar nicht! Diesmal kommen Frauen relativ häufig vor; die Gleichstellung ist nicht unter den Tisch gefallen!
– Die Frauen meine ich auch nicht, ich meine die Männer!
Mein imaginiertes linkes Gegenüber protestiert sofort: „Wieso Männer? Männer sind doch immer gemeint, Männer sind doch nicht auf besondere Weise benachteiligt!“

Ach nein? Männer haben keine besonderen Probleme? Ihre Lebenserwartung ist geringer als die der Frauen, die Selbstmordrate höher, physische Gewalt geht meist von Männern aus und sie sind die Mehrzahl der Opfer. Sie sind als Homosexuelle stigmatisiert und sie bekommen nur selten Teilzeitstellen, wenn sie Vater werden. Keine besonderen Probleme? Doch! Aber geht das die Feministinnen etwas an?

Natürlich, Männer kommen vor, sie beschreiben ihre Welt und sie finden ihre Lösungen. Aber als Geschlechtswesen sind sie unsichtbar im linken Programmentwurf; in dieser Frage unterscheidet sich die LINKE nicht von der restlichen Gesellschaft. Als Geschlechtswesen verstecken sich Männer hinter dem Allgemeinen. Männer setzen die Norm und folglich müssen sie ihr Geschlecht unter dunkelgrauen Anzügen verstecken, so wie der Programmentwurf die Geschlechterverhältnisse versteckt. So wird verschleiert, dass Frauen und Männer und Menschen jeder anderen Geschlechteridentität in einer bestimmten Geschlechterordnung leben, bestimmte Geschlechterverhältnisse konstituieren und reproduzieren – mit Dominanzen, Herrschaft und Normen. Und das geht die Feministinnen etwas an.

Reicht es also, die besonderen Probleme der Frauen aufzugreifen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Ungleichheiten im Erwerbsleben, die verbreiteten Benachteiligungen? Reicht der sog. weibliche Blick? Reichen Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit?

Viele Jahrzehnte lang war es für Sozialistinnen und Sozialisten in Ost und West nicht schwer, frauenpolitisch eine gute Figur zu machen. Auf die eklatante Gerechtigkeitslücke, die für Frauen beim Zugang zu Arbeitsmarkt, bei Bildung und öffentlichem Amt, beim Lohngefälle und der Doppelbelastung durch Familie und Beruf, durch den Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen bestand, fokussierten sich die Kritik und die Alternativvorschläge. Im Westen forderte die Linke das Recht auf Erwerbsarbeit für Frauen, den Zugang zu allen Berufen und Aufstiegsmöglichkeiten, gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit und den dazu unbedingt notwendigen Ausbau der Kinderbetreuungsangebote; im Osten ging man ohne viel Federlesens an die Umsetzung dieser Vorhaben. Frauenpolitik der Linken, das war die Einforderung all jener Rechte, die die französische Revolution versprochen hatte und die bürgerliche Gesellschaft den Frauen bis dahin verweigerte, und war darüber hinaus der Kampf für die Anerkennung besonderer Bedürfnisse von Frauen, die gleichberechtigt neben denen von Männern stehen sollten. Aber mittlerweile fordert auch Christina Köhler Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen, Angela Merkel tritt für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein und die CDU sieht sich zähneknirschend, genötigt, die von der EU vorgegebenen Ziele nach Verringerung des Lohnabstands von Frauen zu Männern anzustreben. Was bleibt da für die Linke?

Was sozialistisch war und was feministisch, das lag lange im Streit. Die Parteien und Gewerkschaften der Arbeiterbewegung in Ost und West verlangten die Unterordnung der Frauenbelange unter die allgemeinen sozialen Belange. Der Kampf der Frauenbewegung für sexuelle Selbstbestimmung und für die Gleichberechtigung homosexueller Lebensweisen war der Arbeiterbewegung suspekt. Die Versöhnung von Sozialismus und Feminismus war nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems ein entscheidendes Projekt der Erneuerung der Linken. Es sollte keine Hierarchie der Kämpfe um Befreiung geben und keine Unterordnung der Forderungen von Frauen. Zumindest in der Theorie wurden die patriarchalen Geschlechterverhältnisse als komplexes Unterdrückungsverhältnis nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen jede abweichende sexuelle Identität begriffen.

Ist die sozialistische Bewegung damit beim Feminismus angekommen? Seit dem Vereinigungsprozess der beiden linken Parteien PDS und WASG zur LINKEN war es nicht einfach, feministisches Gedankengut und ebensolche Politik in der Programmatik zu verankern. Die Programmatischen Eckpunkte und der Prozess ihres Entstehens legten davon Zeugnis ab. Die große und wichtige Politik, die darin niedergelegt wurde, im Osten geprägt durch die Erfahrungen im Sozialismus, im Westen v.a. durch die Gewerkschaften, hatte kein weibliches Gesicht. Schnelle Verbesserungsversuche durch Einbau von Frauenforderungen hübschten den ersten programmatischen Versuch der neuen LINKEN auf, allerdings, wie Frigga Haug formulierte: „Es war mit der Geschlechterfrage wie mit der Petersilie, die man am Schluss nicht vergessen darf.“

Nun liegt der Entwurf des zweiten programmatischen Dokuments vor. Auf den ersten Blick ist klar: Die Petersilie wurde nicht vergessen. Ein Verständnis für die sich dramatisch wandelnden Geschlechterverhältnisse in Deutschland, West- und Osteuropa oder gar der Welt und die Konsequenzen daraus, auch für linke Politik, ist allerdings nicht erkennbar. Politik ist aber niemals geschlechtsneutral. Politik wird immer von Männern und Frauen gemacht. Sie ist beteiligt an der Konstruktion der Geschlechterrollen, die sagen, was männlich und weiblich ist, was von Frauen und Männern erwartet wird und welchen Platz in Gesellschaft und Familie ihnen zugewiesen ist. Sie nimmt Einfluss darauf, welche Grade der Abweichung von den Geschlechterrollen es geben soll, auch was Norm und was Abweichung ist. Sie bestimmt die Freiheitsgrade für Selbstverwirklichung und Vergesellschaftung. Politik, die geschlechtsneutral daher kommt, ist im harmlosesten Falle unreflektierte Politik, im schlimmsten gut getarnte patriarchale Politik. Gesellschaftliche Entwicklung ist immer auch Entwicklung der Geschlechterverhältnisse, egal ob sie bewusst gestaltet werden oder sich hinter dem Rücken der Beteiligten formieren. Wer Gesellschaft bewusst verändern und gestalten will, wer eine andere Politik will, wer eine menschlichere Zukunft will, muss Politik geschlechterbewusst, geschlechtersensibel entwickeln und sogar das Konzept der Konstruktion der Geschlechter ideologiekritisch hinterfragen.

Feministische Politik gründet auf der Analyse und Kritik der Geschlechterverhältnisse. Frigga Haug bezeichnet Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse. Sie macht dabei deutlich, dass es nicht um Verhältnisse von Frauen zu Männern oder gar von Mann zu Frau geht, sondern um – an Marx angelehnt – „bestimmte notwendige gesellschaftliche Verhältnisse, die Menschen in der Produktion ihres Lebens eingehen. Diese entsprechen einer bestimmten Entwicklungsstufe der Produktivkräfte. Sie prägen Struktur, Kultur und Bewusstsein der Gesellschaft“. Der Begriff soll helfen, die Einspannung der Geschlechter in die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu untersuchen. Die Geschlechterverhältnisse bestimmen unmittelbar die gesellschaftliche Arbeitsteilung und definieren den weiblichen und männlichen Platz in der Produktion der Güter und Dienstleistungen sowie die Verteilung des Ertrags, vor allem aber die weibliche und männliche Rolle bei der Produktion und Reproduktion der wichtigsten Produktivkraft, der menschlichen Arbeitskraft.

Patriarchal oder nicht?

Geschlechterverhältnisse mit der Dominanz des männlichen Geschlechts über das weibliche (und alle Abweichungen von der Norm) konstituieren ein Jahrtausende altes Herrschaftssystem, das Patriarchat. Trotz aller Modifizierungen in den Ländern des Westens durch Gleichstellungspolitik ist diese Dominanz bis heute weltweit nicht in Frage gestellt. Umso verwunderlicher, dass der Begriff Patriarchat im ganzen Entwurf nicht einmal vorkommt. Das ist skandalös, denn nicht nur, dass es kein Verbrechen gibt, das gegen Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit verübt wurde, das Frauen nicht erleiden mussten, weil sie Frauen sind, sie sind auch in allen Zwangs- oder Elendslagen stärker betroffen als die vergleichbaren Männer. Und sie sind millionenfach Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Menschenhandel und Sklaverei, Zwangsprostitution und Frauenmord. Patriarchale Verhältnisse waren und sind die notwendigen Grundlagen für die Herausbildung aller bisherigen Ausbeutungsverhältnisse. Dass das Patriarchat in diesem Entwurf nicht vorkommt, ist umso verwunderlicher, als die Herausbildung der PDS auf der Überwindung des Stalinismus und seiner Wurzeln und auf einer gründlichen Analyse des Patriarchats fußte, auch jener patriarchalen Verhältnisse, die in den sozialistischen und kommunistischen Arbeiterparteien aufgehoben waren. Insofern kann eine Berufung auf die proletarischen Wurzeln der LINKEN nur kritisch, patriachatskritisch nämlich, geschehen.

Für die ehemalige Bundesrepublik werden die Ergebnisse einer langwierigen Diskussion des sog. Haupt- und Nebenwiderspruchs ignoriert, die in dem Anspruch mündeten, nicht nur Klassenverhältnisse zu analysieren, sondern auch Geschlechterverhältnisse, sowie die Herrschaftsmechanismen, die daraus entspringen, die darin eingeschrieben sind. Es ging auch darum zu erkennen, zu entlarven, wie über die Bevorteilung der Männer und die Abhängigkeit der Frauen eine soziale und ideologische Basis geschaffen wurde, die den modernen Kapitalismus trug.

Diese Auseinandersetzung, in Ost und West je unterschiedlich, erfordert immer ein grundsätzliches, selbstkritisches Umdenken, die Erkenntnis der eigenen Prägung durch die Geschlechterrolle und derjenigen Diskriminierungen, die Dissidenz zur Geschlechternorm, sexuell oder politisch, mit sich bringt.

Ohne Analyse der geschlechtlichen Herrschaftsverhältnisse, also ohne Patriarchatsanalyse bleibt die Analyse der Krise des kapitalistischen Systems, die längst eine Zivilisationskrise ist, unvollständig. Keinesfalls aber lässt eine Analyse der Krise des Patriarchats den Gedanken gültig stehen, dass eine Emanzipation von Frauen über eine Gleichstellung mit den Männern möglich wäre. Die Analyse der Geschlechterverhältnisse als grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse ist daher Grund und Ausgangspunkt für die Forderung an ein linkes Programm, die Geschlechterfrage in allen Politikfeldern immer mit zu denken, mit zu analysieren und in jegliche Politik einzubauen. In dem Entwurf hingegen läuft alles auf das Ziel der Gleichheit der Geschlechter hinaus. Die Befreiung der Frauen, ihre Emanzipation wird nur als Gleichstellung mit den Männern gedacht, ist offenbar mit der Gleichstellung mit den Männern beendet. Ganz zu schweigen von der notwendigen Emanzipation der Männer, der kein Gedanke gewidmet wird.

Bevor ich im Folgenden gesellschaftliche Widerspruchsfelder herausgreifen will, die der Programmentwurf stiefmütterlich und damit unzureichend behandelt, mache ich mich daran, die Form des Entwurfs zu kritisieren, darauf hinweisend und erklärend, dass sich auch in der Form Geschlechterverhältnisse ausdrücken.

Träumen wir also…!

Beim Lesen des Entwurfs schwand die Leselust mehr und mehr. Dabei ist dieser Entwurf nicht schlechter geschrieben als andere Parteiprogramme. Warum ist das so? Warum werden Programme ohne Leidenschaft, ohne Begeisterung, Enthusiasmus und Liebe geschrieben, ohne Gefühl?

Diese trockene Sachlichkeit des Entwurfs spiegelt die patriarchale Abspaltung des Gefühls wider, das als weiblich, weibisch gilt; sie widerspiegelt unkritisch übernommene patriarchale Werte und Vorstellungen, die die Welt in eine sachliche und eine gefühlvolle spalten, das eine wertvoll und geachtet, das andere schwach und verschmäht, das eine dem Männlichen zugeschrieben, das andere dem Weiblichen. Doch ohne Gefühl, Gespür, Empathie ist die Welt nicht erfahrbar – und nicht erkennbar. Wut auf die Ungerechtigkeit, Verzweiflung und Trauer über das Elend der Menschen und die gequälte Kreatur, Hass gegen Kriegstreiber, brutale Ausbeuter, Menschenschinder und Folterer, Verachtung für die rücksichtslosen Abzocker und Hütchenspieler der Finanzwelt, Abscheu vor der Selbstgerechtigkeit der Bankmanager und Aktienbesitzer, der Sarrazins und Ackermanns, das alles ist notwendig, um macht- und kraftvoll für Veränderung einzutreten. Und ebenso wenig geht es ohne Liebe zu Kindern, nicht nur den eigenen, Hochachtung vor den Menschen, die mit Würde und Ehrlichkeit ihren Lebensunterhalt erarbeiten, Ehrfurcht vor dem Leben, der Kreatur und allen Menschen, Freude an der Schönheit der Welt, Lust auf ein Gutes Leben, Gute Arbeit, Freundschaft, Solidarität, Mitgefühl und Nachsicht. Und Hoffnung.

Warum fliegen Menschen nach Mallorca, obwohl sie Flugangst haben und sie am Ziel Ballermann erwartet? Warum überqueren sie in einer engen Blechkiste den Brenner, stehen stundenlang im Stau, um in die Toskana zu gelangen oder an die Ostsee, warum bezahlen sie viel Geld für eine mittelprächtige Unterkunft, obwohl sie zuhause eine schöne Wohnung haben?

Weil es eine Erzählung gibt. Sie heißt „Sonne, Sand und Meer“. Sie erzählt von Zypressen, Kieswegen, duftenden Pinien, Macchia; sie erzählt von reicher Kultur, alten Städten auf Hügeln, etruskischen Ruinen, sie erzählt von Pizza, Pasta alla Mamma, dem Duft des Meeres. Sie erzählt von unüberschaubaren Fischmärkten und Bergen leuchtender Gemüse. Sie erzählt vom Campari nachmittags auf der Terrasse unter Schattenbäumen am Pool. Sie erzählt von herzlichen Menschen, schönen Männern oder Frauen und der Liebe. Wegen dieser oder ähnlicher Träume machen sich Menschen auf. Sie kommen zurück und bereichern ihrerseits die große Erzählung mit Berichten von der eigenen Reise, mit eigenen Erlebnissen, eigenem Glück, eigenen Träumen.

Warum schreibe ich das? Menschen engagieren sich, verändern etwas, setzen sich ein, entwickeln, experimentieren und suchen, wenn sie eine Vorstellung entwickeln, von dem, wie es sein soll. Wenn sie eine Geschichte hören, von dem, wie es sein könnte. Wenn sie in diese Geschichte einsteigen, sie erproben und weiter schreiben können. Die Geschichte wird dadurch schillernder und schöner, immer mehr Menschen möchten dieses Glück erleben, an dieser Geschichte mitzuschreiben.

Wann rebellieren Menschen? Zum Beispiel, wenn ihnen eine Geschichte vorgeschrieben wird. Wenn ihre eigenen Träume in der vorgeschriebenen Geschichte nicht vorkommen. Frauen im Westen unseres Landes haben in den siebziger und achtziger Jahren rebelliert, weil ihnen ein autokratisches und rigides Geschlechterregime vorschreiben wollte, wie sie zu leben haben, wie sie ihre Zukunft gestalten sollten. Die Jungs durften vom Flugzeugkapitän, Rennfahrer und Ingenieur träumen, den Mädchen blieb die Mamarolle. Die Geschichte ihres Lebens war kleinkariert, engstirnig, dumm, rosarot. Nicht bunt wie der Regenbogen und wild. Ihr Begehren kam nicht vor in der Erzählung des Landes und der Menschen. Die neue Frauenbewegung war eine der erfolgreichsten Bewegungen der Nachkriegszeit im Westen. Der Kampf für eine andere Geschichte als der, in der man drinsteckt, für eine lebenswerte Welt, muss als Erzählung, als Traum in den Köpfen entstehen; die andere Geschichte muss denkbar, fühlbar, träumbar sein, sie muss also erzählt werden. Der Programmentwurf spricht von einem zukünftigen Guten Leben. Aber er erzählt keine Geschichte vom Guten Leben.

Menschen mit weiblicher Sozialisation empfinden einen Mangel an Vision, an Vorstellungskraft stärker als Menschen mit männlicher Sozialisation. Sie sind abgestoßen von künstlicher Versachlichung und technokratischem Denken. Sie wollen nicht „Versachlichung“ sondern „Vermenschlichung“ der Politik. Die Schönheit der Erde, Verantwortung, Achtung und Mitgefühl, Weisheit und Engagement und ein Mehr an Leben, ein Mehr an Freiheit und Vertrauen, ein Mehr an Hoffnung und Liebe sprechen die Fantasie an. Wie sonst sollte dem Sozialismus sein graues Image genommen werden?

Widersprüche: Eine Fessel für die Veränderung der Verhältnisse

Der Programmentwurf erkennt nicht, dass die Geschlechterverhältnisse hier und weltweit zur Fessel der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung geworden sind. Im Unterschied zu den politischen Gegnern. Die Neoliberalen haben mit Gender Mainstreaming längst ein Konzept adaptiert und es für ihre Bedürfnisse zurecht gestutzt, das ihnen hilft, die überkommenen Geschlechterverhältnisse zu überwinden, ohne eine grundlegende, sozial fortschrittliche Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu riskieren. Sie haben schneller und umfassender als DIE LINKE verstanden, dass eine Politik, die auf die Veränderung der Geschlechterverhältnisse zielt, nur so entwickelt werden kann, dass sie von Anfang an und in allen Bereichen integriert entwickelt wird. Dazu bedarf es der Kompetenzen, die Gender-Kompetenzen genannt werden. Denn die Geschlechterverhältnisse und ihre Widersprüche treten nicht nur offen zu Tage, sondern sind eingewoben in die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt. Sie haben äußere, sichtbare Seiten und innere, nur durch Analyse und Kritik erkennbare Seiten. Das geht weit über Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsaufgabe hinaus, deren Realisierung sowieso meist den Frauen obliegt, wenn es nicht sogar eine Beerdigung der Aufgabenstellung bedeutet.

Der neoliberalen Politik geht es nicht um mehr Gerechtigkeit, es geht ihr aber sehr wohl um die Einbeziehung von Frauen in die Erwerbsarbeit. Dies erfordert den Umbau der Verhältnisse. Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Frauen war im Übrigen ein gutes Mittel, die Löhne und Gehälter weit und breit zu senken. Die Herrschenden wollen Geschlechtergleichheit auch durch Nivellierung der Unterschiede nach unten erreichen. DIE LINKE hingegen kann nicht von mehr Gerechtigkeit reden, ohne die Geschlechtergerechtigkeit einzubeziehen.

Die überkommenen Geschlechterverhältnisse sind aber nicht nur eine Fessel für die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung, sie sind auch eine Fessel für die Entwicklung der fortschrittlichen Kräfte, für die Entwicklung von Alternativen und Auswegen. Dies wären zentrale und vorrangige Aufgaben der LINKEN. Ein Prozess der Politikentwicklung, der Geschlechtergerechtigkeit grundlegend einbezieht, kostet Zeit und Mühe, und es kommt hinzu, dass es Gedanken gibt, die du nicht zu Ende denken kannst, ohne dein Leben zu verändern. Schon die Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen muss zu Kritik und Veränderung der eigenen Organisationskultur und zum Verlust von Macht bei Männern führen. Ja, das fordert auch von Männern, ihr Leben zu verändern.

Widersprüche: Feindbild Feminismus

So erfolgreich die Frauenbewegung der siebziger und achtziger Jahre war, so sehr ihre Forderungen im Mainstream von Politik und Gesellschaft angekommen sind und teils umgesetzt werden, so emanzipiert sich junge Frauen fühlen, das Ansehen des Feminismus hat dadurch nicht gewonnen. Im Gegenteil, das Aufgreifen von Frauenforderungen war verbunden mit der sorgfältigen Pflege des Feinbilds der männerhassenden, geifernden, hässlichen Feministin. Moderne junge Frauen wollen so nicht sein, also grenzen sie sich ab. Dabei eifern sie genauso einem vorgegebenen Frauenbild nach wie ihre Großmütter in den Fünfzigern und Sechzigern. Nur dass die Großmütter mit Unterordnung, Einschränkung, Fleiß, Sauberkeit und Maulhalten Chancen hatten, dem Bild zu entsprechen. Den jungen Frauen heute wird gleichberechtigte Teilhabe und Wahlfreiheit versprochen bzw. sie versprechen es sich selbst, die Realität aber bleibt, dass Frauen ein Mehrfaches leisten müssen, um das Gleiche zu erreichen wie Männer, sie dies aber nicht gesellschaftlichen Fußangeln und Bremsen zuschreiben, sondern sich selbst, ihrem Versagen. Die Bremsen und Fußangeln sind ja auch nicht so leicht zu identifizieren wie noch in den Siebzigern. Sie zu erkennen bedeutet eine Menge Analysearbeit.

Die kann beginnen mit dem Frauenbild, dem nachzueifern sei. Für das Selbstzurichtungen notwendig werden, die nur der Chirurg vollziehen kann. Und die Verweigerung ist Ritzen und Bulimie. Das andere Extrem ist die Ganzkörperverschleierung, und es wäre zu fragen, ob Bulimie, Schönheitschirurgie, Nail-Design, Kleidermode und Ganzkörperverschleierung nicht Ausdruck ein und derselben Ablehnung des eigenen Körpers entspringen.

Dies sollte auch ein Frauenbild zum Bewusstsein bringen, das Realitäten spiegelt: Frauen tragen nicht nur einen Großteil der unbezahlten Arbeit, sie tragen auch einen großen Teil der Ökonomie. Sie sind die Hauptakteurinnen in der Ökonomie der Sorge, der Pflege, der Bildung, der Medizin. Dort sind sie eine Macht, eine schlafende Riesin. Die wenigen gewerkschaftlichen Kämpfe lassen es ahnen. Diese gesellschaftlichen Bereiche ächzen unter dem Diktat des Profits, es sind die Bereiche, die als erste davon befreit werden müssen. Die Befreierinnen sitzen nur vermeintlich in den Parlamenten. Aber ohne die Frauen, die dort arbeiten, wird es nicht gehen, und zum Glück werden sie sich dessen mehr und mehr bewusst.

Widersprüche: Männerprobleme

Erinnern wir uns noch an Winnenden? Ein junger Mann nimmt das Gewehr seines Vaters, geht in die Schule und schießt auf Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer. Von Amoklauf wird gesprochen, peinlich wird das Wort Selbstmordattentäter vermieden. Dabei gibt es verblüffende Parallelen. Es sind hier und dort fast ausnahmslos junge Männer . Sie töten, indem oder bevor sie sich selbst töten. Ihr eigener Tod ist Teil ihrer Aktion, er ist medial inszeniert oder setzt auf mediale Inszenierung. Mit ihrem Tod setzen sie ihre Tat absolut; keine Strafe, keine Bewertung, kein Leid der Opfer wird sie mehr erreichen und in der Lage sein, ihre Tat zu in Frage zu stellen. Ihre Tat richtet sich gegen die, die nach ihrer Meinung schuld sind: die Schule, die Lehrer, die Ausländer, die USA, Israel, der Westen, die Ungläubigen und nicht selten die Frauen. Immer gibt es Verletzungen, die objektiv sehr tief sind oder die subjektiv als so tief empfunden werden, dass sie über den Weg eines maßlosen Hasses in diese sinnlosen Taten münden. Die Medien, die Politik geben sich ratlos und finden keine Erklärung. Schnell entsteht ein klareres Bild, wenn wir Schulamokläufe und Selbstmordattentate durch die Brille der Geschlechteranalyse betrachten.

Nehmen wir als Beispiel die palästinensischen Selbstmordattentäter. Die jungen Männer Palästinas leben ein Leben der Zukunftslosigkeit, Aussichtslosigkeit und Bedrängnis, der Sackgassen, der Erniedrigung und Verachtung, ein Leben, das sie täglich ihrer Würde beraubt. Das trifft auch Frauen, auch ihre Würde wird mit Füssen getreten. Selbstachtung von Männern ist aber verschieden von der Selbstachtung von Frauen. Sie hängt bei beiden eng mit ihren Rollen zusammen, die ihnen sehr Verschiedenes abverlangt, Scheitern unterschiedlich definiert und bewertet. Für Frauen und Männer gibt es in diesem Geschlechterregime jeweils unterschiedliche Demütigungen, die nach diesen Vorstellungen nur mit dem eigenen Tod oder dem Mord beantwortet werden können. Bleiben die jungen Männer in ihren alten Rollen verhaftet, so erscheint vielen die einzige Antwort auf die Erniedrigungen die Gewalt, der Massenmord, verursacht durch das Selbstopfer. Der gewaltlose Widerstand, wie er seit vielen Jahren in Bi’lin und anderen palästinensischen Gemeinden geübt wird, erfordert neben politischen Konsequenzen ein verändertes Rollenverständnis und zeigt darüber hinaus, dass dies auch möglich ist. Auch bei den sog. Ehrenmorden sind es die Männer, deren „Ehre“ ihnen verletzt erscheint und den Tod der Frau erfordert. Daran will die Mehrheitsgesellschaft nicht schuld sein. Sie ist es aber, denn der finalen Entehrung gehen die vielen Ehrverletzungen durch tägliche kleine Demütigungen, Beleidigungen, Verachtung und oftmals Verhöhnung voraus. Aber nur verbunden mit Perspektivlosigkeit und Enge sind die gewaltsamen Entladungen begreifbar.

Im Vorkriegsjugoslawien waren Männer auf allen Seiten für Nationalismus und Chauvinismus leicht zu gewinnen, weil sie im Zusammenbruch des Sozialismus nicht auf Ersatzrollen zurückgreifen konnten wie die Frauen. Frauen und Männer haben damals massenhaft ihre Arbeitsplätze verloren. Frauen hatten danach eine alte, aber taugliche und hilfreiche Rolle zur Verfügung, in die sie schlüpfen konnten. Ohne Job sind Frauen immer noch Mütter und Organisatorinnen des häuslichen und familiären Lebens. Sie verlegten ihren Schwerpunkt auf die Subsistenzarbeit, ihre familiären und nachbarschaftlichen Netzwerke wurden wichtig und fruchtbar. Ihr Ansehen stieg. Nicht so bei den Männern. Der Verlust ihrer Erwerbsarbeit, ihres Einkommens, das ja höher war, als das ihrer Frauen und ihnen dadurch in den Familien eine dominante Rolle sicherte, bedeutete den Verlust ihres alten Ansehens; sie wurden nicht nur arbeits-, sondern bedeutungslos, spielten, tranken – und wurden unnütze Esser. So demoralisiert waren sie für den nationalistischen und separatistischen Amoklauf benutzbar. Dieser gab ihnen Bedeutung, Macht. Männermacht, die sich auch gegen die eigenen Frauen richtete, vor allem aber gegen die Frauen des Feindes. Der nationalistische Amoklauf ist im Übrigen immer weniger gefährlich und deshalb wahrscheinlich auch beliebter als der individuelle Amoklauf, der für einen selber ja meist tödlich endet.

Daran wird die enorme gesellschaftliche Sprengkraft deutlich, die in Prekarisierungen der Männerrolle liegen kann. Dies ist weitgehend nicht untersucht, z.B. für den Aufstieg des Nazifaschismus, die Kriegseuphorie vor dem Ersten Weltkrieg, die Schlachten oder das Schlachten in Afrika, die neue deutsche Kriegsbereitschaft; auch nicht bei Jung-Nazis, denen der Nationalchauvinismus das verlorene Selbstwertgefühl ersetzt, und bei Gewaltexzessen in der Bundeswehr.

Bei Frauen und Mädchen verlaufen die Rollenänderungen oft weniger dramatisch. Sie sind gewandt im Anpassen. Das ist der Grund, warum sie in unseren schlechten Schulen besser überleben. Schlauer werden als die Jungs, die massenhaft versagen. Bei jenen steht aber auch mehr auf dem Spiel. Ihre alten Rollen waren machtbesetzt. Macht per Geburt. Ihr Scheitern ist nicht nur Scheitern, sondern Machtverlust. Und ihr Scheitern ist vorprogrammiert, weil gerade die Machtbesetztheit ihrer Rolle einem flexiblen Weg entgegensteht. Frauen und Mädchen steht sogar die Opferrolle offen; selbst diese Rolle verschafft ihnen noch eine fragwürdige Anerkennung. Nicht so bei den Jungs. „Du Opfer!“ ist eine ernst gemeinte Beleidigung, ein Schimpfwort, schlimmer als Arschloch oder schwule Sau. Opfer sein, heißt kampfloses, feiges, unterwürfiges Versagen. Eine Schmach – und das ist die bittere Ironie – die nur durch das Selbstopfer abzuwenden ist.

Auch linke Politik betrachtet Gewalt überwiegend als ein Ausnahmephänomen, nicht als ein geschlechter- bzw. männerpolitisches Grundproblem. Die Veränderung der Männerrolle wäre eine Befreiung. Das Private ist politisch und muss zu Politik werden.

Widersprüche: Guter alter Sozialstaat

Die Zerstörung des Sozialstaats wird mit der sog. Neoliberalen Revolution erklärt. Das unterstellt, der Sozialstaat wäre bis heute so geblieben, wenn diese nicht stattgefunden hätte, man müsse also zur Rettung des Sozialstaats nur die Neoliberalen bekämpfen. Die Krise des Sozialstaats ist aber nicht nur politischer Willkür gezollt, sondern ist eine objektive Entwicklung und hat eine markante Geschlechterdimension.

Aus den sozialen Kämpfen und Revolutionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Zwillingsbrüder Sozialismus und fordistischer Sozialstaat hervorgegangen – der eine als Ergebnis der russischen und der folgenden Revolutionen, der andere als Versuch, eben jene Revolutionen zu verhindern. Grundlage war ein Klassenkompromiss zwischen den stärksten Gruppen des Kapitals (Rüstungs-, Metall-, Fahrzeug-, Elektro-, Energie- und Chemieindustrie) und den dort beschäftigten (männlichen) Arbeitern bzw. deren Gewerkschaften. Dieser Klassenkompromiss wurde Grundlage der staatlichen Sozialpolitik. An den Löhnen dieser Kerngruppe des Proletariats orientierten sich die Einkommen aller abhängig Beschäftigten – in der Regel mit Abschlägen. Der Kompromiss war für beide Seiten vorteilhaft. Er versprach die Ausweitung der kapitalistischen Konsumgüterproduktion durch höhere Löhne und die Massenkaufkraft der schnell wachsenden Bevölkerung. Die Beschäftigten erlebten einen Wohlstand, wie ihn der konkurrierende Sozialismus nicht in der Lage war zu bieten. Der soziale Frieden im Kapitalismus war gesichert. Die soziale Marktwirtschaft, das fordistische Modell des Klassenkompromisses hat aber nicht nur eine sichtbare Seite, nämlich in der Erwerbsarbeit (Flächentarifverträge, relative soziale Sicherheit, hohe Löhne), sondern auch eine unsichtbare, den Geschlechtervertrag. Insofern ist die soziale Marktwirtschaft nicht nur ein Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit, sondern auch zwischen Kapital, Männern und Frauen.

Das fordistische Familienmodell sah jene strikte Trennung der Geschlechterrollen vor, wie sie im Westen Deutschlands dem Idealbild der kleinbürgerlichen Kleinfamilie der fünfziger Jahre entsprach. Da die Familienväter die einzige ökonomische Stütze der Familie waren, waren die Sicherung von deren Vollbeschäftigung und Vollerwerbstätigkeit und ihrer möglichst ununterbrochenen Erwerbsbiografien notwendig. Frauen verdienten allenfalls hinzu, ihre Löhne waren deutlich geringer, die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und ihre Ausbildung nachrangig, ihre Vollbeschäftigung unerwünscht.

Was wir heute erleben an Abbau sozialer Dienste und Sicherheiten ist die Demontage, die Zerstörung dieses fordistischen Wohlfahrtsstaates, ist die Aufkündigung des Klassenkompromisses durch die Kapitalseite. Der Wohlfahrtsstaat als Gegenkonzept zum Sozialismus wurde nicht mehr gebraucht. Außerdem gieren die entfesselten Finanzmärkte nach Geld, das dem Sozialstaat, in dem viel Geld gebunden ist, entzogen werden muss. Die viel diskutierte Umverteilung von unten nach oben hat nur einen Zweck: die oben mit frischem Geld zu versorgen. Der Sozialstaat erodiert aber auch von innen.

Die Automation und die Informations- und Kommunikationstechnologien haben menschliche Produktions-Arbeit in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in nie da gewesenem Umfang überflüssig gemacht und dieser Prozess schreitet fort, egal ob in der Krise oder im Aufschwung. Weil es dem Kapitalismus nicht gelingen kann und er kein Interesse daran hat, die verbleibende Arbeit gleichmäßig zu verteilen, wurde die Massenarbeitslosigkeit ein unlösbares Problem. Die soziale Basis des Klassenkompromisses schrumpft durch die galoppierende Rationalisierung, weil die Zahl der Träger auf Seiten der Arbeit sinkt und es sinkt das politische Gewicht ihrer Gewerkschaften. Dies wird dadurch verstärkt, dass sich die Tätigkeiten aus der unmittelbaren Produktion in die Bereiche der Entwicklung und Steuerung, in das Überwachen, Vorbereiten, Planen, Verkaufen, Transportieren usw. verlagern, in sog. Dienstleistungstätigkeiten mit deutlich geringerem gewerkschaftlichem Organisationsgrad.

Aber auch die Emanzipationsbestrebungen von Frauen, von Jugendlichen, Homosexuellen und Transidenten, die den fordistischen Wohlfahrtsstaats als Gefängnis empfanden, setzten seine Aufhebung auf die Tagesordnung. Den unsichtbaren Geschlechtervertrag hat die Frauenbewegung aufgekündigt. Es hat also auch von daher keinen Sinn, von einer Rückkehr zum rheinischen Kapitalismus zu träumen, die eigenen Frauen werden dahin nicht zurück wollen. Der gegenwärtige Demografieknick, über den so ausgiebig gejammert wird, ist Ausdruck der Krise des fordistischen Systems, der Überlebtheit der Ernährerfamilie und der Unmöglichkeit Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Die chronische Unterbezahlung der weiblichen Erwerbsarbeit war zwar immer Grund für linke Kritik, aber Linke und Gewerkschaften haben keine Strategien und keine Kampfkraft für ihre Überwindung entwickelt. Dies weckt neoliberale Begehrlichkeiten. Denn Frauen bringen nicht nur neue und interessante Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale mit auf den Arbeitsmarkt, sondern auch den Gender-Lohnabschlag. In allen Branchen, in denen der Frauenanteil steigt, sinken die Löhne. Diesen „Automatismus“ kennen die Wirtschaftsleute gut und sie nutzen ihn.

Weiten Teilen der Linken fehlt diese Analyse. Und das ist kein Zufall. Eine wichtige soziale Basis der neuen LINKEN, eingebracht vor allem durch die WASG, sind jene Träger des fordistischen Klassenkompromisses auf der Seite der Arbeit. Diese hatten Vorteile nicht nur durch ihre höheren Löhne, sondern auch durch die Bequemlichkeiten einer Versorgerehe, die ihnen zwar die finanzielle, ihren Ehefrauen aber die praktische Versorgung auferlegte. Ihr Teil war die finanzielle Unabhängigkeit, der ihrer Frauen die Abhängigkeit. Ihnen wurde eine Machtposition in der Familie zuteil, Grundlage für jene Verachtung, die häufig bis heute den Frauen entgegen gebracht wird. Sie hatten Freiraum für Engagement in der Gesellschaft, der Politik, dem Verein, denn sie waren von Familienpflichten weitgehend freigestellt. All diese Vorteile wollen sie keinesfalls aufgeben, alle diese Vorteile verteidigen sie auch mit ihrem Kampf gegen die Rente mit 67 , der sich um Altersarmut von Frauen kaum kümmert. Jener westdeutsche Aufstand, der sich in der WASG-Gründung manifestierte, brauchte einen Verarmungsschub der männlichen Arbeiter. Arme Frauen, arme Mütter, arme Witwen waren jahrzehntelang unbedeutend. Erst der in die Hartz-IV-Armut abrutschende, 30 Jahre lang malochende Arbeiter machte ein Gerechtigkeitsproblem sichtbar, nicht die sich zwischen Arbeit, Kindererziehung und Geldmangel aufreibende, schon immer arme alleinerziehende Frau.

Das Festhalten am fordistischen Klassenkompromiss erklärt, warum bei allen Programmentwürfen mit Mühe und Not noch die feministische Petersilie untergebracht werden kann, aber eine durchgehende Berücksichtigung der Geschlechterfrage nicht nur nicht verstanden, sondern häufig auch abgelehnt wird.

Widersprüche: Arbeit

In der LINKEN scheiden sich momentan an der Arbeit die Geister. Es geht um den Stellenwert der Erwerbsarbeit in der Gesellschaft und für die Einzelnen. Auf der einen Seite gruppieren sich Feministinnen um die Vier-in-Einem-Perspektive, auf der anderen Seite wird vermeintlich das Recht auf Erwerbsarbeit und deren Bedeutung verteidigt. Mit der Vier-in-Einem-Perspektive stellen Feministinnen in der LINKEN der Erwerbsarbeit die private Arbeit der Sorge für sich und andere, die Arbeit der Bildung und Selbstbildung und gesellschaftliche bzw. politische Tätigkeit zur Seite und verlangen den gleichen Zugang und die gleiche Verteilung aller Arbeiten sowie der Zeit der Muße auf Männer und Frauen, Erwerbslose und Erwerbstätige. Jüngst entzündet hat sich der Streit um den Satz im Programmentwurf: „Die Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte ist heute und auf absehbare Zeit die Erwerbsarbeit“ , hinter dem sich vermeintlich die Verteidiger der Verabsolutierung der Erwerbsarbeit versammeln.

Die Diskussion ist bitter notwendig, damit die feministische Diskussion der Arbeit in der Linken ankommt. Die LINKE braucht einen Begriff von Arbeit, der ausdrückt, dass Erwerbsarbeit nicht voraussetzungslos ist, dass sie der privaten Arbeit bedarf, um überhaupt geleistet zu werden, dass Gesellschaft nur entsteht, wenn freiwillige, unbezahlte Arbeit überall geleistet wird, wenn Menschen lernen, gemeinsam mit anderen Ideen und Wege entwickeln, sich an einander reiben und sich zusammentun, und dass in einer Gesellschaft höchst entwickelter Arbeitsteilung jeder Beitrag wichtig ist.

In der Wirklichkeit gilt, wer keine Erwerbsarbeit hat, nichts, oder fast nichts. Er oder sie darf der Grund- und Bürgerrechte beraubt werden. Das Recht auf freie Berufswahl oder das Recht auf freie Wahl des Wohnorts sind faktisch per Gesetz außer Kraft gesetzt, die Würde Arbeitsloser wird ständig angetastet, die Lebenschancen ihrer Kinder werden andauernd beschnitten. Diese Abwertung nicht Erwerbstätiger betrifft nicht nur Menschen im erwerbsfähigen Alter, sie betrifft in abgeschwächter Form auch Rentnerinnen und Rentner, sie betraf – mehr als es aktuell noch der Fall ist – die aussterbende Spezies der Nur-Hausfrauen und sie betrifft weiterhin Studierende oder Behinderte. Sie betraf und betrifft allerdings unter keinen Umständen nicht arbeitende Milliardäre oder adlige, grundbesitzende MüßiggängerInnen.

Und so ist es wenig verwunderlich, dass den Menschen, die nichts haben als ihre Arbeitskraft, um ihr Leben zu fristen, Erwerbsarbeit wertvoll ist, wertvoller als jede andere Arbeit, die nicht gegen Geld getauscht werden kann. Indem sie ihre Arbeitskraft zu Markte tragen, ist ihr Zugang zu der Welt der Waren und käuflichen Dienstleistungen gesichert, ohne die sie in entwickelten kapitalistischen Ländern nicht existieren können. Alle anderen gesellschaftlich wichtigen Arbeiten bringen nichts ein – bestenfalls Ruhm und Ehre. Das Primat der Erwerbsarbeit vor allen anderen Arbeiten existiert nicht per Beschluss oder durch richtige oder falsche Anschauung, sondern aus der Realität der kapitalistischen Produktion und Reproduktion, aus der Herrschaft dieser Produktionsweise über die Lebensverhältnisse der Gesellschaft. Aber das heißt nicht, dass alle anderen Arbeiten weniger wichtig wären, sie können sogar im Einzelnen viel wichtiger sein als manche Erwerbsarbeit..

Was allerdings der Programmentwurf mit der Aussage meint „Die Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte ist heute und auf absehbare Zeit die Erwerbsarbeit“, darüber kann nur spekuliert werden . Sie steht gänzlich isoliert am Beginn des Absatzes zu Guter Arbeit, worin dann nur die Erwerbsarbeit gesehen wird. Dabei empfinden viele Menschen Arbeit erst dann als gut, wenn sie nicht (mehr) erwerbsmäßig ausgeübt wird. Was meint dieser Satz also anderes, als dass es wichtiger ist, über Erwerbsarbeit zu reden als über andere Arbeit? Ein Satz der in Position gebracht wird gegen die Ansicht von Feministinnen, dass über Erwerbsarbeit nicht geredet werden kann, ohne über alle anderen gesellschaftlichen Arbeiten zu reden?

Er ist im Übrigen so richtig wie falsch. Natürlich ist Erwerbsarbeit die Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte, aber eben nur eine. Die Produktivkraft menschliche Arbeitskraft hat die private, familiäre Arbeit für sich und andere ebenso zur Voraussetzung wie die Selbstbildung; wichtige berufliche Kompetenzen, das wurde längst wissenschaftlich bestätigt, werden im Ehrenamt erworben. Die immer wichtiger werdende Produktivkraft Wissen oder Wissenschaft ist unmittelbar an Menschen gebunden, ist Eigenschaft des Menschen und in hohem Maße ein Produkt aller menschlichen Tätigkeiten. Selbst in die Entwicklung der technischen Produktionsmittel fließen alle Formen von Arbeit ein.

Interessant sind die unterschiedlichen Schlussfolgerungen, die Feministinnen einerseits und der Entwurf andererseits ziehen. „Einkommen und Vermögen werden durch Arbeit erzeugt und sollen daher entsprechend dem Beitrag zum gesellschaftlichen Arbeitsprozess sowie nach Bedürftigkeit verteilt werden“ – wenn dieser Satz das Gesamt der gesellschaftlich notwendigen Arbeit meint, dann würde das notwendig den Abschied vom rein auf abhängiger Erwerbsarbeit basierenden sozialen Sicherheitssystem bedeuten, also die Diskussion über Grundsicherung oder Grundeinkommen, bedingungslos oder nicht, von der Peripherie der Partei ins Zentrum rücken müssen. Ob sich die Linke darüber im Klaren ist?

Einig ist man sich noch, dass alle Arten von Arbeit gerecht geteilt werden müssen. Bei der damit verbundenen Frage, dass Umverteilung von Erwerbsarbeit, also stärkere Partizipation von Frauen daran, untrennbar mit der Umverteilung von privater, familiärer und gesellschaftlicher Sorgearbeit einhergehen muss, ist diese Einigkeit nicht sicher. Beim rasanten Schwund von Erwerbsarbeit vor allem in den entwickelten kapitalistischen Ländern, stellt sich aber die Frage, wie viel Erwerbsarbeit pro Kopf bleibt, wenn Männer und Frauen, Arbeitende und Arbeitslose die Erwerbsarbeit teilen. Die Feministinnen kommen auf 20 bis 25 Stunden pro Woche, der Entwurf will „perspektivisch eine Obergrenze von 35 Stunden“ anstreben, längerfristig von 30 Stunden. Längerfristig hat also eine längere Perspektive als perspektivisch? Unklar bleibt, wie diese Verkürzung der Arbeitszeit erreicht werden soll, vor allem aber, wie der Lohnausgleich erreicht wird. Denn Arbeitszeitverkürzung wird schon jetzt täglich umgesetzt, durch Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen und Umwandlung in Teilzeitbeschäftigung oder Minijobs, diese Form der Arbeitszeitverkürzung betrifft ganz überwiegend Frauenarbeitsplätze, Mit anderen Worten: Frauen teilen die ihnen zugestandene Erwerbsarbeit unter sich auf, eine Umverteilung zwischen Männern und Frauen ist demgegenüber unbedeutend.

Wenn Frauen in der LINKEN die Vier-in-Einem-Perspektive diskutieren, so tun sie dies häufig noch nur in einem nationalen Bezugsrahmen, mit der Perspektive des reichen Nordens. Aber es geht nicht nur um eine gerechte und deshalb gleichmäßige Verteilung der zum menschlichen Leben notwendigen Arbeiten zwischen Männern und Frauen im globalen Norden, in den reichen Industrienationen, es geht auch um die Verteilung zwischen Nord und Süd, es geht nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit, sondern um globale und soziale Geschlechtergerechtigkeit. Dies ist nur möglich, wenn wir die Diskussion um Gute Arbeit mit der um ein Gutes Leben verbinden. Die feministische Perspektive trennt weder die verschiedenen Bereiche der Arbeit noch trennt sie Arbeit von Leben. Wenn die Erwerbsarbeit nicht vom Guten Leben getrennt und auch in der Perspektive der kommenden Generationen und des armen Südens gesehen wird, sind 25 Stunden pro Woche Erwerbsarbeit durchaus realistischer als 35. Denn es gibt keine gute Arbeit und kein gutes Leben in einem System, das Menschen, Lebensgrundlagen und Zukunft zerstört. Im kapitalistischen Prozess der Warenproduktion sind wir alle mit unserer Erwerbsarbeit auch an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beteiligt. Wachtumswahn gehört zur kapitalistischen Produktionsweise wie der Atem zum Leben und gibt diesem Zerstörungswerk eine ungeheure Dynamik. Wir sitzen nicht nur als Fahrgäste im rasenden Zug auf den Abgrund zu, sondern als Heizer und Heizerinnen. Mit unserer Arbeit produzieren wir lebensnotwendige Güter und Dienste, aber auch Unmengen von Tand, Tötungsmaschinen und Zerstörung. Es lohnt sich also, mit unserer Arbeit sparsam umzugehen, Rüstungsproduktion, Verpackungswahn und Werbeschlachten ebenso auf den Prüfstand zu stellen wie den ausufernden Verkehr. Jede verschwendete Arbeitsstunde ist verschwendete Energie. Ist Zerstörung des Klimas und der Natur für nichts und wieder nichts. Notwendig ist nicht die Anbetung, sondern die Kritik der Erwerbsarbeit in ihrer gegenwärtigen Form. Notwendig sind auch vielfältige Projekte selbst organisierter Erwerbsarbeit, wie sie im Niedergang der Frauenbewegung beispielhaft entstanden sind, Projekte, mit denen wir das Neue ausprobieren, sei es im Rahmen eines öffentlichen Beschäftigungssektors, der Förderung von Genossenschaften, des Volksbildungs- und Weiterbildungssektors, der regionalen Entwicklung, Projekte des Empowerments für Frauen, Jugendliche, MigrantInnen, Ausgegrenzte usw. Der Fantasie dürfen keine Grenzen gesetzt sein. Neben Protest auf der Straße und Bewegungen brauchen wir auch eine Stärkung des Neuen, das sich im Schoße der alten Gesellschaft entwickelt und zum Durchbruch drängt.

Die Vier-in-Einem-Perspektive, die globale Perspektive und die Zukunftsperspektive weisen auf die zentrale Forderung nach radikaler Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit für alle hin. Sie weisen auf die Notwendigkeit des Kampfes für individuell und gesellschaftlich selbstbestimmte Arbeit, für den gleichen Zugang aller zu Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Muße hin. Der Kampf für Arbeitszeitverkürzung hat einen besonderen Charme. Die Verkürzung der Arbeitszeit muss sofort auf die Tagesordnung; sie ist eine Reform, die unmittelbare Verbesserungen bringt, die, konsequent verfolgt, in einer radikale Umwälzung der Verhältnisse münden kann und muss.

Sozialistischer Feminismus agiert und argumentiert vom Standpunkt von Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit, um die überkommenen patriarchalen Geschlechterverhältnisse umzuwälzen, und stellt, von einem geschlechterkritischen Standpunkt ausgehend, die großen gesellschaftlichen Fragen. Er geht mit einem emanzipatorischen Ziel von den Frauen aus, aber er endet nicht bei den Frauen, sondern bei dem Recht auf Wohlergehen und Entfaltung für alle Menschen. Ein feministischer Standpunkt umfasst deshalb drei Aspekte: einen kritischen Standpunkt, der den überkommenen Geschlechterverhältnissen gilt; einen emanzipatorischen Standpunkt, der eine Beendigung der patriarchalen Dominanzkultur, die Veränderung der Geschlechterrollen und die Selbstveränderung einschließt; und nicht zuletzt einen parteilichen Standpunkt für alle Unterdrückten und Ausgebeuteten (sozial, kulturell, psychisch). Feministische Politik formuliert nicht Ziele für die Frauen, sondern Ziele für eine menschliche und gerechte (Welt-)Gesellschaft. Die Befreiung aus patriarchaler Abhängigkeit als Selbstbefreiung der Frauen weltweit kann nur als Umwälzung sämtlicher Verhältnisse verstanden werden, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Veröffentlicht unter Feminismus, Mein Herz schlägt links | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Kommentar hinterlassen